USA // detroit - heidelberg street
die zukunft ist ungewiß und preßt sich ganz allmählich durch das nadelöhr der gegenwart. wer noch alle sinne zusammen hat, tut gut daran sich drauf zu freuen, es sind bestimmt ein paar spannende tage dabei. ein wenig bescheidenheit tut auch ganz gut, im großen und ganzen gerät das alles ganz prächtig. was man auf dem weg verliert, das vergammelt vielleicht und kommt in vergessenheit - oder jemand sammelt es auf und macht etwas neues aus all diesen fundstücken.
ich kann mich dunkel erinnern, das wir daheeme in der masurenburg wie so häufig entspannt vor der fernsehmaschine hingen und uns eine dokumentation über detroit reingezogen haben. wie ebenso oft kam eh nix anderes, auf allen sendern hirnlose ebbe, und außerdem ging es um die amerikanischen auto-markengiganten, die ehemals riesige werke in detroit hatten. mittlerweile is das lange alles den bach runtergegangen, aber es gab eine zeit, zu der detroit eine summende brummende metropole mit einem recht noblen lebensstandart war, in der alles an der ansässigen industrie hing. jetzt stehen von all den hübschen kleinen einfamilien-häuschen in den damals schmucken suburbs die meisten komplett leer, mit blinden scheiben, verwilderten gärten und verwahrlosten straßenzügen. vieles ist dem kompletten zerfall überlassen, die wenigen menschen, die hier leben, sind zumeist arbeitslos, bitterarm und größtenteils farbig. die region ist nach dem einbruch der automobil-industrie strukturschwach und ohne aussicht auf eine wende der aktuelle lage. fehlen eigentlich nur noch rollende ginsterbüsche auf der straße. und eines tages muß in diesem ganzen elend einem mann der kragen geplatzt sein. er sammelte all den zurückgelassenen hausrat in den leerstehenden häusern ein und dekorierte mit schrott und sperrmüll die häuser, die gärten und seine straße - so entstand das heidelberg-projekt.
ich kann mich deutlich erinnern, das wir wie hypnotisiert vor der glotze hingen. aus berlin ist man street art und nette projekte am straßenrand ja doch recht gewohnt. aber einen straßenzug so allumfassend zu verändern, eine dicke fette kruste bunter farbe, ein rücksichtsloses recycling von allem, was man in die finger kriegt und der absolute wille, etwas zu bewegen, alle aufmerksamkeit auf sich zu lenken und in dieser beispiellosen tristesse die allgemeine depression einmal komplett umzukrempeln, das ist irgendwie doch was anderes.
ich bin mir auch ziemlich sicher, das zu diesem zeitpunkt der plan mit dem trip durch die staaten bereits beschlossene sache war und wir schon wußten das unser weg hoch an chicago vorbei nach wisconsin führen würde - und das detroit kein großer umweg wäre.
im nachhinein kann ich nur jedem, dem sich die chance in irgendeiner weise bietet, wärmstens empfehlen, einen abstecher nach detroit in die heidelberg street zu machen - es gibt garantiert massenhaft fantastische touriten-attraktionen in den usa, und im vergleich dazu kann diese stadt wirklich nur grottig abschneiden, aber das ist ein stück wehmütiges, authentisches, trotziges und selbstbewußtes amerika, das sind 200 meter, die man einfach gesehen haben muß.
wir hatten ein bißchen glück an diesem regnerischen, schwülen tag, wir sind schon am frühen vormittag dort eingetroffen und waren quasi die ersten besucher des tages und sind erstmal völlig fasziniert und komplett unbehelligt durch diese straße geschnürt. der erste eindruck hat etwas von alice im wunderland, 50 jahre, nachdem es geschlossen wurde. wir haben den mann getroffen, der das alles initiiert hat und der die heidelberg street pflegt und stetig ausbaut, als wäre das alles sein vorgarten. ein künstler war er bestimmt nicht, als er damit angefangen hat, aber was er geschaffen hat, das ist auf seine ganz eigene art und weise als konzept ein stück lebendige street art, am anfang gegen die hoffnungslosigkeit und den stillstand, aber im zuge der zunehmenden popularität zunehmend politisch und mit bezug auf das zeitgeschehen.
bei einem spaziergang durch die heidelberg street findet wohl jeder seinen ganz eigenen pfad, von objekt zu objekt, garten zu garten und haus zu haus. man kann einfach die straße runterlaufen oder im zickzack hin und her pendeln und überall etwas neues, völlig kurioses finden, dinge, die nach art und vergangenheit aufgestapelt sind, und sachen, die einen bezug zueinander finden, wahllos oder mit absicht, das kann jeder selbst entscheiden.
der heidelberg-künstler hat uns erzählt, das er auch deutschland besucht hat. und er hat uns seine interpretation der berliner mauer gezeigt. er fordert keinen eintritt und macht keinen nennenswerten umsatz mit seiner mission. irgendwo steht völlig verloren in einer kleinen info-bude eine alte plaste-dose für spenden, das wars. aber er möchte, das menschen nach detroit kommen und sehen, was dort geschieht, das die tristesse endet und etwas neues entsteht, er möchte etwas dagegen unternehmen und das möglichst viele leute daran teilnehmen. die wenigen ansässigen reagieren wie überall auf der welt, wenn jemand in der nachbarschaft etwas durchgeknalltes startet, manche findens toll und machen begeistert mit und die anderen findens einfach nur scheiße, aber dazwischen gibts nicht soviel. und da trifft er die natur jeglicher street art am zentralen nerv: wenn sie nicht polarisiert, dann ist sie nicht gut. oder anders ausgedrückt, so wie das in städten geschieht, die street art gewohnt sind: ist das kunst oder kann das weg? - muß jeder selber wissen :)
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