der räudige rächer // mein treuer gefährt(e) // auf langen wegen // auf kurzen strecken // der zorn auf vier rädern // hansdampf in allen gassen // albtraum aller umweltschützer // wir hatten eine schöne zeit // R.I.P.
Die Zukunft ist ungewiß und quetscht sich ganz allmählich durch das Nadelöhr der Gegenwart. Sie braucht da eine Weile für, es paßt nicht alles durch, die Entropie schmiert zwar den schmalen Grat auf dem Ereignishorizont, aber man kennt das ja: Ein bißchen Schwund ist immer.
Vieles verliert man im Leben, von der Unschuld bis zum Haustürschlüssel, vieles davon unbezahlbar, manches an persönlicher Wertschätzung lieb und teuer, das meiste, weil das halt der Lauf der Dinge ist. Klamotten tragen sich ab, die liebste Jeans löst sich in Fetzen auf, munter frißt die Waschmaschine heimlich Socken auf, die Jacke hat man ausgeführt, jedoch nicht wieder heimgebracht, Mützen und einzelne Handschuhe hauchen im Rinnstein ihr Leben aus, der Kleiderschrank kennt sich aus mit den Strapazen des Alltags, mit den Jahreszeitenwechseln und erstaunlicherweise auch mit Sedimentablagerungen, meist ganz unten und vor allem hinter den Schubladen. Verlieren tut man Handies, Geldbörsen, Turnbeutel, Fahrscheine, viel Zeit, ein Spiel, ein Rennen, den Kontakt, oft das Ziel aus den Augen, den Überblick, die Orientierung, die Geduld, hin und wieder die Beherrschung und mancher ein Vermögen, vor Gericht, die Erinnerung und noch ne ganze Menge anderer Dinge, an denen man wirklich hängt. Zum Schluß das Leben und so scheiden sie halt da hin, die großen und die kleinen Dinge und tun ein bißchen weh, die einen mehr, die anderen weniger. Was sind wir doch für Luxuskinder, all unseren Besitztümern schon zu Lebzeiten hinterherzutrauern, sie passen ja doch nicht in die blöde Kiste und wenn ich mich dereinst im Grabe umdrehe, dann wird das eine verdammt unbequeme Angelegenheit. Und was sind wir doch für Luxusphilosophen, wenn man willens ist, all den Verlusten, die sich eh nicht meiden lassen, soviel Beachtung zu schenken, es ist doch echt ein Trauerspiel, wenn es keine wichtigeren Sorgen gibt.
Und doch, als ich vor Kurzem meines Autos verlustig ging, da war er wieder, der rote Faden, dieses fiese Gefühl, die Spur verlorener Reichtümer, gemessen an der undankbaren Meßlatte meiner persönlichen Wertschätzung. Besagter Schwund war in diesem speziellen Fall der Rost, er wurde zum Prüfstein für meinen geliebten alten Herrn und sollte ihn ereilen, als ich beim TÜV vorsprach, der so wenig Verständnis für meine Ansichten hat. Will heißen, von der Hoffnung auf die begehrte Plakette und damit dem etwas kippeligen Konstrukt, das mein Auto irgendwie ein reales Volumen im Stadtverkehr einnimmt, da mußte ich mich leider von trennen, genauso wie von meinem Auto als Bestandteil meiner personengebundener Realität. Die damit verbundene Leerstelle in der Wahrnehmung ist erstens BMW-förmig und mir zweitens recht unangenehm.
Was ist das, was man da betrauert, es kann ja nicht an den schlappen anderthalb Tonnen Blech hängen, von der lieblosen Entropie ganz zwanglos zu einem Kaffeesieb umoxidiert, und an dem abgefahrenen Gummi, das dem Vortrieb diente - der zugegebenermaßen sehr erbaulich war. Es hängt an der Idee dahinter, dieses ulkige Konzept, dieser Zwitter aus Werbephilosophie und gesellschaftlicher Einschätzung, dieses blödsinnige Phantasma von Freiheit und Unabhängigkeit, jederzeit überall hin zu können, wenn man sich nur hin und wieder an einer Tanke sehen läßt und dort das bitter Verdiente mit vollen Händen rausschmeißt, die Umwelt mit Abgasen verpestet und sich den endlosen Blechlawinen hinzugesellt. Es schmerzt an der Gewohnheit und an der Bequemlichkeit und am Luxus und überhaupt und natürlich an einem großartigen Stück Design und Fahrzeugtechnik und an der vielen harten Arbeit und den unzähligen Ersatzteilen, die man halt aus Liebe an so einem alten Eimer verbaut. Und weil man ihn halt so liebt, baut man schon seit Jahren Ersatzteile ein, die jedes Mal den Sachwert verdoppeln und bei einer nüchternen Aufrechnung die Haare zu Berge stehen lassen, aber nichts läßt sich besser bescheißen, als die eigene Vernunft, und so schraubt man munter weiter, bis eines Tages der TÜV-Onkel kurzatmig wird und ein ernsthaftes Gespräch anstrengt, etwa vier Worte lang, und vom Inhalt wahlweise so-geht-das-nicht oder auch auf-gar-keinen-Fall.
Der räudige Rächer war ein stolzer Klepper, vor allem war er mein Klepper, und mit großzügiger Hilfe und langjähriger Nachsicht der Vernunft war er mir ein treuer Gefährt(e), auf langen Wegen und auf kurzen Strecken, der Zorn auf vier Rädern, ein Hansdampf in allen Gassen, der Albtraum aller Umweltschützer - wir hatten eine schöne Zeit // R.I.P.
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[foto: Rini Tinnef // stubensphinx] |
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