firenze fieber - TEIL 2
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[foto: Rini Tinnef // stubensphinx] |
die zukunft ist ungewiß und preßt sich ganz allmählich durch das nadelöhr der gegenwart. sie braucht da eine weile für, denn gut ding will weile. deshalb entstehen große projekte nicht einfach über nacht.
sie fallen nicht vom himmel, weil jemand eine spontane eingebung hatte, sie wachsen nicht wie pilze aus dem boden, weil die zeit dafür reif war, und sie erscheinen nicht auf der bildfläche, weil es sich so ergeben hat. es mag den anschein erwecken und ganz bescheiden wird hinterher so allerlei behauptet. aber für ein gutes großes projekt braucht es eine inspiration, die von blendender kraft ist, ein konzept, das genügend potenziel hat, fähige leute, die dazu definitiv in der lage sind und nix anderes vorhaben, und ausreichend zeit, um es überzeugend zur reife zu bringen, eine deadline, die alle komponenten auf einen punkt bündelt, und ein ziel, zu dem es kraft seiner anlagen todsicher gelangen kann. der erfolg ist dann immer noch ungewiß und wird mit jedem fehler noch ungewisser. ich hab da gut reden, wieviele projekte habe ich eigentlich schon angefangen und gleich am anfang alles falsch gemacht? ich weiß nicht mehr.
ein richtig gutes projekt trägt schon die saat für seinen nachfolger in sich, wer das versäumt, gehört zu diesen verbrechern, die lauter billige, schlechte, zweite und dritte teile produzieren. wie oft sitzt man im kino und verliert fast den glauben, wie dünn die story ist? zu oft. wie oft kauft man das nachfolge-gerät eines phones? sehr selten. wie oft wählt man das nächste fahrzeug vom gleichen hersteller? das paßt, da klappt das recht gut mit der markentreue und da sind wir wieder bei den großen projekten.
wer übelst lechzt, bis der nachfolger endlich erscheint, das sind meist die gamer aller sparten. konsolen-spiele, pc-spiele, rollenspiele, die plattform ist da nebensächlich, auch die kategorie, aber wenige neuerscheinungen werden so flächendeckend vom konsumenten überwacht und angenommen. die äußerst kunstvoll erschaffene illusion von realität hat schon im ersten teil von assassin creed mittels vager bezugnahme auf reelle historische begebenheiten gut funktioniert. wie ein turmhohes kartenhaus, von dem man nicht glauben mag, das es stehen bleibt, so staunt man angesichts der überzeugend geschaffenen wahrscheinlichkeit, das eine person namens altair existiert haben könnte - und es überzeugt umso mehr, da es nicht überprüft werden kann, egal wie man es dreht, jeder weiß, das es nicht so gewesen ist, und ist trotzdem völlig gefangen von der vagen möglichkeit, das es eine person mit diesem namen gegeben hat. der name leitet sich wohl von einem stern im sternbild aquila ab und verankert damit den bezug zu seinem "wappentier", wenn man so sagen will, dem adler. die randdekoration historischer gegebenheiten scheint aber die wahrscheinlichkeit einer solchen existenz herzustellen und bildet damit das wichtigste kapital des spiels: die illusion einer erweiterten wahrheit. die gleichen mittel verhelfen held nummer zwei zu seinem virtuellen leben: ezio auditore di firenze, es mag diese familie gegeben haben, und vielleicht trug auch ein familienmitglied zum gegebenen zeitpunkt den entsprechenden namen. ein wichtiger angelpunkt des spielverlaufs stellt ein belegtes historisches ereignis dar und soll hier kurz als prüfstein herhalten: die pazzi-verschwörung am 26.04.1478 mit dem ziel, die familie der medici aus dem weg zu räumen. sie scheiterte, da nur der jüngere bruder dem anschlag zum opfer fiel, die beteiligten figuren und die umstände entsprechen irgendwie der wahrheit, zeitlich gemessen unter berücksichtigung des spielverlaufs treffen die figuren folgendermaßen zusammen: vieri de'pazzi 1454-1478, 24 jahre alt, und francesco de'pazzi 1434-1478, 44 jahre alt, sowie giuliano I. de medici 1453-1478, 25 jahre alt. sie alle findet an diesem tag den tod. lorenzo de medici 1449-1492, zum fraglichen zeitpunkt 29 jahre alt, überlebt den anschlag. leonardo da vinci 1452-1519, wäre 26 jahre alt gewesen, lebte, lernte und arbeitete in florenz und fand in der familie medici gunstvolle mäzene, er war zeitgenosse und hat diesen teil der geschichte als gegenwart miterlebt, auch wenn er nicht zum zeitvertreib für ezio irgendwelche waffen nach uralten bauplänen konstruierte. bei machiavelli, der ebenfalls im spielverlauf auftaucht, wird es schon schwieriger, niccolò machiavelli 1469-1527, autor von "der fürst" und berühmt für den nach ihm benannten machiavellismus, wäre erst 9 jahre alt gewesen. es müßte sich um seinen vater handeln, bernardo di niccolò machiavelli, 1426/29-1500, der war also ca. 50, was hingegen zu alt erscheint, um zu passen, aber er schrieb von 1474-87 eines der tagebücher von florenz, das besondere historische aufmerksamkeit genießt, aber sich wenig mit dem politischen geschehen beschäftigt. ezio auditore di firenze, angeblich 1459 geboren, wäre dann etwa 19 gewesen. galileo galilei sprang erst ab 1610 unter cosimo II de'medici in florenz herum, kopernikus lebte zwar zur passenden zeit, studierte aber in bologna, hielt sich um 1500 in rom auf und studierte danach in padua, aber ob er je in florenz war und näher mit den medici oder anderen persönlichkeiten aus florenz bekannt war, das weiß ich nicht, aber mit den sternenguckern gehts deutlich aus den fugen.
zum spiel assassins creed wie auch zu seiner fortsetzung und dessen sequel findet sich ein eintrag in der wikipedia, da sie von usern geschrieben wird und deren interesse ihr wachstum bestimmen. ganz folgerichtig erhält an dieser stelle die historische wahrheit gewissermaßen eine kleine ausbuchtung, durch querverweise zwischen den realen personen und ereignissen in eine fiktive geschichte. wenn man nun die vergangenheit ausbeult und erfundene geschichten dermaßen eng an die vergangene geschichte knüpft, erfindet man fiktive geschichtsschreibung, welche den ebenfalls nur mäßig gesicherten geschichtsstand durch überlieferung an den rändern empfindlich aufweicht, wie all die unzähligen historischen romane, die oft genug mehr als grottig recherchiert allenfalls als schmierige zerstreuung durchgehen. auf einmal erscheinen überall leise wahrscheinlichkeiten für die existenz von irgendwelchen figuren und ereignissen, futter für verschwörungs-theorien und mystische sagen. im netz ist das gewissermaßen auch real, es gibt einen datenstand über eine person mit dem namen ezio auditore und genug hintergrundinformation und details, um ihn als mensch zu identifizieren, es nährt also den glauben an diese wahrscheinlichkeit. und es nährt den hunger, entkleidete, fleischlose geschichtsdaten mit gerüchten, bildern und alltäglichen kleinigkeiten, einem menschenleben zu füllen, die nacherlebbar sind. die virtuelle figur existiert beinahe echt, sie hat freunde, gefühle, wünsche, missionen, ein höheres ziel, etwas, mit dem man sich bestens anfreunden kann. das virtuelle licht scheint hier sehr hell, die nodale wahrnehmung im netz registriert das als deutliche informationsverdichtung, die erwähnte beule in der wirklichkeit, wo vorher nur der schnöde geschichtsfaden an langweiligen daten vorbeilief. interessant nich? in bildhaften worten wie eine fußangel im datenwald, man tappt ganz unvorhergesehen rein und schon isses echt.
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