I LOVE JUGGLERS

Die Zukunft ist ungewiß und preßt sich ganz allmählich durch das Nadelöhr der Gegenwart. Sie braucht da eine Weile für, das kratzt das Universum nicht, derweil der Mensch die einzige Spezies ist, die blöd genug war, die Langeweile zu erfinden. Die zur Sommerzeit ersehnte Langeweile will sich unterdessen nicht so richtig einstellen, die Tage haspeln dahin ohne das was hängen bleibt, für Ruhm, Ehre und großen Reichtum sind wir auch in diesem Jahr nicht gemacht, weder Zeit noch Geld für große Sprünge, halb zehrt man aus der Erinnerung den letzten Urlaub auf, halb gruselt man sich schon und wähnt den Winter nahen, der dann meist die Langeweile bringt, die im Sommer noch herangewünschelt wurde, aber das alte Lied kennt man wirklich schon und giert nach neuerlicher Unterhaltung. Meine persönliche Rechnung sieht gerade besonders mager aus, der unerwartete Autoverlust und das recht wirkungsvoll demolierte Rückgrat hat die schönen Wochen ordentlich verhagelt und mit zwangsverordneter Langeweile konnte ich schon immer am allerwenigsten. Langeweile sollte man am besten mit guten Freunden verbringen, da hat man was davon, und weil es ja außerdem so schön heißt, Feste muß man feiern wie sie fallen, hatten wir uns einen Satz Karten für das kleine Fest im großen Park gekauft.

Das kleine Fest im doch nicht so großen Schloßpark Ludwigslust am Arsch der Heide, das muß man sich mit Muße auf der Zunge zergehen lassen, denn wenn man entsprechende Suchergebnisse im Internet begutachtet, präsentiert sich das Event mit einer recht schmucklosen bis unterirdischen website, die aussieht, als hätte sie web 2.0 nicht nur verpaßt, sondern auch gleich mit Verachtung abgestraft. Mißtrauen ist hier angebracht, hinter der programmiererischen Kleingärtner-Fassade verbirgt sich ein wahres Kleinod der Unterhaltungs-Kunst, eigentlich ein recht schweres Kaliber in Anbetracht der geografischen Lage und sonstigen Infrastruktur. Das nächste ist glaube ich die Fusion, dazwischen: Nix. Als wir vor zwei Jahren die Karten geschenkt bekamen, sind wir da mit gemischten bis gedämpften Erwartungen hingefahren, in Befürchtung eines halb-peinlichen, halb-unerträglichen Mittelaltermarktes. Dazu hatten wir eher fragwürdiges Wetter, der Scheibenwischer streikte den Dienst - das wünscht man sich bei knappen 200km Anfahrt über die Autobahn - und für sechs Stunden im Park rumhängen war es doch empfindlich kühl. Aber bei einer gegen Null gehenden Erwartungshaltung kann man schwerlich enttäuscht werden, eine Event-Survival-Taktik, die mir im Überangebot der satten Hauptstadt schon häufig den Abend und hin und wieder auch den Verstand gerettet hat, der klinkt sonst einfach gerne aus, bei der Frage ob man das eigentlich alles mitmachen muß.

Letztes Jahr um diese Zeit, da fummelte sich die Masurenburg irgendwo da unten am Grand Canyon über verschlungene Pfade -  das war uns auch ein Fest. Wenn auch gänzlich anderer Natur, direkte Vergleiche sind natürlich nicht angebracht und auch äußerst unfair, außerdem soll mans ja bekanntlich auch nicht beschreien, wer weiß schon, was das Jahr noch bringt. Da aber der große Geldsegen ausblieb, keine entfernten verstorbenen Verwandten mit unverschämt überreichen Testamenten auftauchen wollten und sonst auch allerorten der Pleitegeier kreist, vertreiben wir uns den Sommer mit kleinen Nettigkeiten wie mitternächtlichem Guerilla-Gardening und den Hochzeitsbuffets anderer Leute, das ist kostengünstig und geht als kurzweilig durch :) Der springende Punkt ist immer noch der Anstand, mit dem man die Zeit um die Ecke bringt, und mittlerweile haben wir die Biege doch ganz ordentlich raus, uns anständig zu amüsieren, wenn daran Bedarf besteht. Wenn alle Welt versucht, Zeit zu sparen und dann doch wieder verplempert, dann kann man sich auch einfach ein bißchen was davon nehmen.

Es bleibt also auch Gelegenheit, erneut den Schloßpark in Lulu zu entern. Die bösen Vorzeichen blieben uns diesmal erspart bis auf die lästige Parkplatzsuche, die zwangsläufig entsteht, wenn 9000 Leute in ein winziges Kaff einfallen und ihren fahrbaren Untersatz zwischenlagern müssen, halb erwartet man überforderte Parkplatzanweiser und hysterische Anwohner angesichts im Vorgarten zeltender, bierseeliger Jugendlicher und Verkehrinsel-Parkern. Das schwubbelt sich hier aber irgendwie weg, es kommt zwar Hinz und Kunz, aber irgendwie bleibt es halbwegs übersichtlich, weil das Dorf zu Ende ist, bevor es eng wird. Vermutlich gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen erstaunlich kleinen Orten und besonders groß dimensionierten Kurz-Events, der zu einem besonders friedvollen Ergebnis führt, andernfalls hätten Festivals wie die Fusion keine Chance.

Ganz so groß ist das kleine Fest nun nicht, aber sie wollens wissen mit ihrem winzigen Schloßpark und der weite Weg lohnt sich: Ab späten Nachmittag läßt man sich durch den Park treiben und begutachtet das üppige Programm, auf vielen kleinen Bühnen quer durchs Gelände wird in viertelstündigen Show-Einlagen alles geboten, was man auf einem Kleinkunst-Event sehen will oder befürchtet hat: Comedy, Akrobatik, Acapella, Marionettenkünstler, Jonglage, Satire, Zauberer und Magiere. Die lästigen Touristen-Artikel und überteuerten Festival-Stände bleiben zum Glück aus, es gibt an allen Ecken und Enden was Leckeres zu Essen und zu Trinken. So stöbern wir uns durchs Angebot und wenn es nicht gefällt, dann lassen wir uns weiter treiben durch die hübsche Kulisse zu den heimlichen Helden des Festes:

Gaukler ziehen durch den Park, in fantastischen Kostümen, bezaubernd & betörend. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so hingerissen war, ganz kindisch steht man da wie angewurzelt und kann sein Glück nicht fassen, so ehrlich und einfach ein schöner Augenblick doch sein kann. Und obwohl man weiß, das ein Mensch dadrinne steckt und obwohl man weiß, wie die Verkleidung funktioniert und obwohl man sehen kann, wie das Kostüm gemacht ist, sieht man doch nur die fantastische Idee dahinter und wie mühelos sie sich stundenlang in diese Rollen fügen und wie liebevoll all die Kostüme gemacht sind.

Da steckt ein Mensch in einer 3einhalb Meter großen Giraffe, er läuft auf allen Vieren, zwei Meter über dem Erdboden, ich kann den Drahtunterbau des Giraffenhalses sehen und staune noch, das er nicht umkippt, dabei noch Kopf und Schwanz bewegt und frech durch die Gegend stapft - man wünscht sich verzweifelt den verdammten Klingelbeutel her, damit man schleunigst Bares hineinstopfen kann. Ein fahrender Flügel hupt mich an, ich stehe im Weg, derweil die Ballerina obendrauf sich unbeirrt wie eine Spieluhr auf der Stelle dreht. Dann hüpfen große Frösche vorbei, auf Stelzen machen sie 2einhalb Meter-Sprünge durch den Park. Es ist doch irgendwie unendlich romantisch und ein bißchen zu familiär, ständig tritt man auf kleine Kinder und nervige Flaneure, aber einen Nachmittag halte ich das aus und habe nicht einen Augenblick ans echte Leben gedacht. Auf einmal scheint der Sommer endlos lang.

Am Ende legen wir uns auf der Wiese ab mit spannenden Wänsten und abgehalfterten Latschen und staunen über ein halbstündiges Feuerwerk, das sich gewaschen hat. Das kleine Fest im großen Park, es ist doch ein großes Fest im kleinen Park und auf jeden Fall den Weg und ein paar seltenen Stunden wert! Danke Lulu



[foto: stubensphinx // rini tinnef]
[foto: stubensphinx // rini tinnef]
[foto: stubensphinx // rini tinnef]
[foto: stubensphinx // rini tinnef]
[foto: stubensphinx // rini tinnef]
[foto: stubensphinx // rini tinnef]
[foto: stubensphinx // rini tinnef]
[foto: stubensphinx // rini tinnef]
[foto: stubensphinx // rini tinnef]
[foto: stubensphinx // rini tinnef]
[foto: stubensphinx // rini tinnef]


Kommentare

Beliebte Posts