Und wie war deine Jugend so?

Die Zukunft ist ungewiß und preßt sich ganz allmählich durch das Nadelöhr der Gegenwart.  Soweit die Theorie. In der Praxis stimmt das eine ganze Weile, aber dann rauscht das Leben auf einmal planlos vorbei, nur um dann am Ende schalgartig richtig zähflüssig zu werden. Womit haben wir das nur verdient? Kindheit und Jugend, die ganzen verdammten Schultage, der Unterricht ging nicht vorbei, die Hausaufgaben, schier endlos, die ganze verdammte Langeweile im Erdkunde-Unterricht, während die Freizeit unbemerkt vorbeiging, da hat man irgendwie gar nix von gehabt, außer blaue Flecken, das Leben schien ewig hin, Beruf, Familie, der ganze Elternquatsch, unvorstellbar, es wurde gespielt und gestritten, später gefeiert und gesoffen, und dann auf einmal selbst Familie oder so, irgendeine Verantwortung und sei es die für das eigenen Wohlergehen, die Tage ewig eintönig, auf Arbeit jeden Tag der gleiche Scheiß, dazwischen Geldsorgen und Freunde die wenn nicht verschwunden, keine Zeit haben, wegen Kindern Hunden Arbeit und dem allgemeinen älter werden. Dann auf einmal ewig alt, mein Oma, ich weiß es noch wie heute, Gott hab sie selig, ich hatte sie lieb, aber diese ewige Leier, jeden Tag die gleiche Scheiße, früher war alles besser, jetzt weiß man nicht, der liebe lange Tag wofür, die ganze Arbeit wofür, die ganze Zeit wofür, man kann doch nichts mitnehmen, da dachte ich auch, mensch Jungs, Evolution, super, der Mensch, jaja und nun?

Verdammt.

Und dieses Ding in der Jugend vor der großen Desillusionierung, bevor man im Leben ankommt, wenn man noch Träume und keine Ahnung hat, keinen Plan und die ungetroffenen Entscheidungen, die wie ein heißer Sommertag drücken, die man nicht entscheiden kann, weil man nicht wissen kann, ob man diesen Beruf bis ans Ende seiner Tage machen will, weil man nicht weiß, ob man heiratet bis das der Tod uns scheidet, wenn man nicht weiß, wovon man wo wie leben soll und wird und was das eigentlich alles soll mit diesen Entscheidungen, einen Beruf ergreifen, eine Familie gründen, ein Haus bauen, Kinder kriegen und sich mit den Nachbarn streiten, und dann gemeinsam über die Kommunalwahlen aufregen, wieso wofür wovon wo und warum. Und dann in den Krieg ziehen.

Hoppla.
Jawohl!

Als unsere Großeltern jung waren, da war einfach mal Krieg angesagt. Was waren das wohl für Fragen, frage ich mich, die sie nicht beantworten konnten, obwohl sie dafür gekämpft haben und dafür gestorben sind, das Vaterland, der Führer und die ganze Scheiße, das Leid, das Elend, die Armut, der Holocaust und die Schrecken, die nicht enden, wenn Du die Augen zumachst, und dann? Da war bestimmt keine Zeit für Zweifel, Selbstfindung und Depressionen, da war kein Platz für Modeverbrechen und Beziehungsstreß, da gab es keine Luxus-Sorgen und keinen Extremsport, da hat aber auch keiner nach gefragt.

Meine Großeltern ja. Ich hab sie nicht gekannt. Nicht so wie ich Freunde kenne. Oder meine Eltern. Ich weiß nicht viel über sie. Ich habe aber auch nicht gefragt, dafür war ich noch nicht alt genug. Jetzt sehe ich mich und uns und frage mich, wie sie wohl waren und wie wir wohl wären, wenn wir an ihrer statt gewesen wären. Neulich habe ich den Keller entrümpelt, gegen den Willen meiner Eltern, ehrlich gesagt, der ganze Müll hat einfach nur genervt, und dann war es auf einmal ihre Idee, als alles ordentlich war und man wieder die gegenüberliegende Wand erkennen konnte. Aber egal. Dabei tauchten die verschollenen Überreste der beiden eingelagerten großelterlichen Haushalte wieder auf, noch nichtmal ausgepackt die ganzen Kisten, das war schon eine archäologische Ausgrabung, in unserem verdammten Keller, da fanden sich die alten Fotos von meinen Großeltern, als die noch jung waren. Wenige, Fotos waren damals kostbar, man machte alle Jubeljahre eines, mit allen Kindern, Verwandten und Tanten, da wurde alles herausgeputzt und wie die Orgelpfeifen aufgereiht, sahen alle gleich aus, irgendwie grob verwandt, die Züge alle familiär, aber wer da nur wer war, keine Ahnung. Aber stolze Gesichter waren das, die sich noch dagegen gewehrt haben, auf einem Foto für die Zeit danach eingebrannt zu werden. Jetzt rollt sich das Papier, die Entwicklung bleicht aus, die Ränder sind abgegriffen, muffelig und angegilbt, man faßt eine fremde Zeit an und wundert sich, wie das wohl so war, im Sonntagsstaat, mit dem Fotografen, und diese ferne Jugend, das sind Fremde, auf all diesen Fotos, die Fremden die ich Familie nenne.

Und so standen sie wohl vor uns, 20, 30 Jahre später, als wir langsam halbstark und immer eigensinniger wurden, seltsame Musik hörten, den ganzen Tag in seltsame Geräte stierend, mit komischen Sportgeräten beschäftigt, und diese Klamotten, und Alltagssorgen, die so planetenweit von allem weg sein mußten, was unsere Großeltern wohl gesorgt hat. Wir waren Indies und Punks und Heavy-Metal-Freaks, Grufts und Techno-Heads, Hiphopper und Raver, Skater und Surfer, wir waren Kiffer und User, Gamer und Rollenspieler, wir waren voll gut drauf oder voll drauf, wir waren GenerationX-No-Future und hatten keinen Plan und auch keinen Bock, abwechselnd keine Kohle und keine Ideen, satt vom Fernsehen, total daneben und voll unpolitisch, keine Meinung, manchmal einfach nur dagegen, weil es nix Herausragendes gab, wo man dafür hätte sein wollen, weggeschwemmt vom heranbrandenden Internet, voll dabei und voll erreichbar, denn auf einmal gabs Handies. Die Generation Playstation, die Generation PC, die Generation Wende, die Generation Tschernobyl, die Generation Nine-Eleven, die Generation Tsunami und was weiß ich nicht was, alles angedichtet, alles daneben.

und jetzt?

Jetzt gibts schon wieder neue Jugendliche, weil, man wird ja auch nicht jünger, und da geht das alles wieder von vorne los, für die sind unsere Jugendkulkturen schon voll Schnee von Gestern, Kindheit ohne Internet, unvorstellbar, und dann schauhe ich mir diese Klamotten an, und die Attitüde, und die Teenie-Musik und denke mir, Alter, wie gruselig, das geht ja gar nicht, und dann muß ich lachen und denke an meine Eltern und an meine Großeltern und denke mir, ah so fühlt sich das an, und dann denke ich mir, aber irgendwie sind sie auch spießig geworden, diese Jugendlichen, so langweilige Klamotten und so todeslangweilige Musik, früher war das irgendwie alles aufregender, früher war überhaupt alles besser...

Ha! Ertappt?

Vielleicht ein bißchen. Wahrscheinlich normal, der ganz normale Abgleich bei der Generationsübergabe innerhalb der Gesellschaft, tröstlich irgendwie auch, nicht wirklich beunruhigend, eher ein kleiner Denkanstoß. Und wenn ich mir was wünschen darf, dann nur, das ich das mit dem Denken nicht zwischendurch irgendwann einmal vergesse oder einfach damit aufhöre.



[foto: rini tinnef||1998 - alle rechte vorbehalten - alle linke auch :)]


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