Sendepause

Die Zukunft ist sehr ungewiß und preßt sich ganz allmählich durch das Nadelöhr der Gegenwart. Sie braucht da eine Weile für, aber es geht unaufhörlich von statten und kommt zum Glück auch nie aus dem Tritt. Zumindest in der menschlichen Wahrnehmung und zumindest ohne die technische Möglichkeiten zu überlichtschneller Geschwindigkeit.

Das ist auch ganz gut so. Es läßt sich manchmal schwerlich sagen, woran es hängt, aber Alltag kommt recht häufig und ganz plötzlich aus dem Tritt, wenn man ihn so nennen kann. Ich bin ein ganz großer Fan von geregelten Tagesabläufen, als da wären verschlafen, verquatschen, aus unnachahmlichen Gründen zu spät kommen und Termin-machen-um-ihn-sofort-zu-vergessen. Mit meinem verspaxten Rücken, der mich akut vom mobilen Leben abhält, sind mir lauter Unterbrechungen im Leben aufgefallen, die man ob ihrer Beschaffenheit höchst unterschiedlich wahrnimmt - aber selten ist mir bewußt, wieviele das sind, meist beschäftige ich mich damit, sie schnell wieder zu vergessen oder mich bei passender Gelegenheit lieber nicht dran zu erinnern. Und manche sehe ich mit gemischten Gefühlen auf mich zurollen.

Mir fallen da spontan so einige Sorten ein und die gehen im Etwa so:
Vorneweg gerne genommene Aussetzer ohne weiteres Eigenverschulden, als da wären Migräne, Heuschnupfen, interessante Lebensmittelallergien und beim weiblichen Teil der bevölkerung kommen einmal im Monat noch die Hormone quer daher. Zu meinem persönlichen Glück kann ich bei keinem Teil davon mitreden. Gebrauchen kann man die alle zu Nix, die wurden nur zum Ärgernis erfunden und weil da keiner was für kann, fällt das unter höhere anti-alltägliche Gewalt. Und ungerecht ist das auch noch.

Das geht aber auch ganz anders, wo man ganz sicher was für kann, aber nicht zwingend seine Freude dran hat, sind die klassischen Produkte eigener Doofheit und selbstgewähltes Elend, so zu finden in der Kategorie Sportunfälle. Von Kreuzbandabrissen bis zu offenen Splitterbrüchen hat man eigentlich die freie Wahl, das geht im guten, alten Wintersport mindestens genauso gut wie in jeder Menge Extrem-Sportarten. Und extrem interessanten Unfällen.

Meine persönlichen Favoriten sind da eher die großen und kleinen Geschenke des Lebens. Ich mag gerne den Alltag drei Tage lang aus dem Wohnzimmer sperren, wenn ein unendlich spannendes Spiel neu raus is, drei wahnsinnige Tage vor der Röhre hängen und drei Tage lang vergessen, wie ich heiße, wo ich wohne, was ich mache und was ich eigentlich in den drei Tagen hätte machen sollen. Ich mag auch hin und wieder Schlafwandeln und dabei furchtbar dämliches und entzetzlich peinliches Zeug machen, was ich mir den Rest meines Lebens auf jeder gottverdammten Party anhören muß, das ist immer eine gute Abwechslung.

Besonders gut gefällt mir die Zeit zwischen und Weihnachten und Neujahr, wenn die ganze Stadt Urlaub hat, alle Geschäfte zu sind und so eine eigentümliche Stille einkehrt. Wenn dann noch Neuschnee fällt, am besten zur Dämmerung, dann ist der Augenblick perfekt, da setzt der Alltag kurz gegen Magie aus.

Überhaupt nicht leiden kann ich den Zahn der Zeit und die schnöden Endprodukte der Entropie. Der Rohrbruch kurz nach erfolgreicher Grundsanierung, die Autopanne auf dem Weg in den Urlaub, natürlich auf dem Hinweg und niemals nie auf dem Rückweg, eine Sekunde nicht aufgepaßt, das Handy ist weg, dabei war der Akku noch voll, der Abgabetermin ist morgen, also geht der Rechner des Nächtens in Flammen auf und reißt ein nachhaltiges Loch in den gesicherten Datenbestand, und wenn das nicht reicht, überhört man alle Warnzeichen und gelegentlichen Schmerzen und legt sich einen ausgewachsenen Bandscheibenvorfall oder anderen Verschleiß zu, gegen den kein Kraut gewachsen ist.

Ganz bitter sind wohl taktische Fehlentscheidungen, die zu so einschneidenden Ereignissen wie Scheidung, Konto-Sperre, Midlife-Crisis und Burn-out-Syndrom führen. Man liest davon, man hört davon und sieht es von Weitem, im Fernsehen, in der Generation davor und langsam aber sicher unter den Altersgenossen, man schaut beschämt zu Boden und hofft, das der Kelch vorüber geht, wie früher in der Schule, wenn man die Antwort auf die Frage nicht kennt und anstatt in den Untiefen der Erinnerung zu kramen, kann man eigentlich nur den einen Gedanken fassen, es möge doch bitte, bitte irgendwen anderes treffen.

Erstaunlicherweise kommt man auch aus dem Tritt, wenn man zu lange das gleiche macht, wenn man etwas zu sehr macht, wenn man etwas halbherzig macht und wenn man gar nix macht, auch wenns keinen Sinn macht.

Wie geht die Sendepause zu Ende? Mag ja die Kunst in der Heilung liegen, wenn es eine offensichtliche Krankheit ist, die einen aus dem geregelten Leben gehauen hat. Wenns einem wieder besser geht, kann man langsam mit dem Alltag wieder anfangen. Aber viel schwieriger ist das Ganze, wenn man dazu mit etwas aufhören muss,  von dem man gar nicht weiß,  das es der Grund für's Elend ist. 

Und noch viel interessanter: Schön, das alle auf den langweiligen Alltag schimpfen, schlimmer aber, wenn der gar nicht möglich ist. Na da ist das Geschrei dann richtig groß! - Verrückt.

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